– aber mir fehlt die Luft!
Gastbeitrag von Brigitte Mayer
Hilfe! Mir fehlt die Luft. Aber Rettung naht!
Da haben Sie Ihren Schatz vor sich liegen: zweihundert oder mehr Seiten, die Ihre Geschichte, Ihren Roman, Ihr geballtes Wissen erzählen. Und nun werden Sie gebeten, eine Lesung zu halten.
Das bedeutet, Sie als Selfpublisher oder Verlagsautor erweitern Ihr geschriebenes Wort um eine neue Dimension: Ihre Stimme. Das ist eine wunderbare, aber keine leichte Aufgabe!
Haben Sie schon einmal aus Ihrem Werk laut und konzentriert vorgelesen? Nicht nur ein paar Zeilen oder kurze Absätze, sondern ganze Kapitel? Dann haben Sie vielleicht bemerkt, dass Ihnen bei manchen Sätzen schlichtweg die Luft ausgeht. Nicht weil sie so spannend geschrieben sind, sondern weil Ihnen ganz einfach der Atem für diese langen Sätze fehlt. Oder Ihnen die richtige Betonung abhanden gekommen ist.
Der Film im Kopfkino zerplatzt
Für Ihre Zuhörer ein echtes Schlamassel: Der Erzählfaden reißt ab. Sie können gedanklich nicht mehr folgen. Der so unterhaltsam begonnene Film im Kopfkino zerplatzt wie eine Seifenblase.
In einer Lesung geht es ja darum, dass sich Ihre Zuhörer ganz entspannt von Ihnen durch die Geschichte führen lassen. Das heißt, Sie sollten in der Lage sein, so zu erzählen, dass die Kopfkino-Filmrollen reibungslos ablaufen, ohne immer wieder zu ruckeln und ins Stocken geraten.
Beim freien Erzählen kann uns das in der Regel nicht passieren, da geschieht alles ganz automatisch: Wir betonen das, was wichtig ist, und holen zu einem Zeitpunkt Luft, der den Redefluss ganz natürlich unterstützt.
Der Zuhörer droht schließlich, im Dschungel des Wortwirrwarrs zu versinken. In der Zeit, die er braucht, um sich neu zu orientieren, ist er vom weiteren Fortgang der Geschichte völlig abgehängt und verliert zumindest für eine Weile den Anschluss. Deshalb lohnt es sich in jedem Fall, vor einer Lesung die Perspektive zu ändern und sich über seinen Text aus der Sicht der Zuhörenden Gedanken zu machen. Ihr Text hat es verdient!
Was also kann ein Autor für den Zuhörer tun?
Ihr Lesetext sollte ganz klar strukturiert sein. Mit Hinweisen auf die richtige Betonung, deutliche Sinnzusammenhänge und stimmige Pausen. So haben zum einen die Zuhörer viel leichter die Chance, die wichtigen Informationen heraushören und dadurch die Geschichte zu verstehen. Zum anderen haben Sie, wie beim freien Erzählen, auch jederzeit genügen Luft, um immer weiter sprechen zu können.
Hilfreich ist es dabei, lange Sätze, die übers Hören nur schwer zu begreifen sind, einzukürzen oder in mehrere Sätze aufzuteilen. Informationen, die für das Verstehen des Textes wichtig sind, müssen zudem entsprechend hervorgehoben werden.
Die Magie der Pause
Und dann gibt es noch die Magie der Pause. Ein Stilmittel, das gekonnt eingesetzt, die Spannung bis ins Unermessliche steigert. Oder aber Ihnen wieder zu mehr Atemluft verhilft. Der wunderbare Nebeneffekt: Auch Ihre Zuhörer bekommen eine kleine wertvolle Pause geschenkt. Die ist wichtig, um das bislang Gehörte besser zu verstehen, und vielleicht auch kurz den eigenen Gedanken lauschen können.
Anhand von Textbeispielen lernen Sie diese drei wichtigen Textstützen genauer kennen und umzusetzen. Und nicht zuletzt üben wir, wie Sie, bei all der Aufregung die eine Lesung mit sich bringt, einen ruhigen, tragfähigen Atem zu behalten. Bringen Sie Beispieltexte mit, ich freu mich drauf!
Brigitte Mayer ist Sprechcoach beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ganzheitliche Stimmtherapeutin und seit mehr als 30 Jahren Redakteurin und Sprecherin im Hörfunk und für TV-Dokumentationen, davon seit 20 Jahren bei der ARD.Sie gibt außerdem Workshops zum Thema Sprechen und Lesen. Die gebürtige Nürnbergerin ist zudem ausgebildete Jazz-Sängerin.